Ist Witchstone das nächste Kennerspiel des Jahres? Oder doch eher ein Hype, den die Social-Media-Bubble vor der SPIEL 21 befeuerte? Wir haben Reiner Knizias Hexenzauber getestet und erzählen euch in neun Bildern, was wir von Witchstone halten.
Kaum ein Autor ist so produktiv wie Reiner Knizia. Allein 28 neue Spiele listet Board Game Geek für das Jahr 2021. Eines davon ist Witchstone. Das Hexenabenteuer lässt zwei bis vier Spieler in eine magische Zauberwelt eintauchen. Wir besetzen einen Turm neben dem Hexenstein, entwickeln Zauberformeln mit Hilfe unseres Zauberkessels, erschaffen Wegverbindungen aus magischer Energie, senden Hexen aus, schöpfen magische Kristalle aus dem Kessel, nutzen das Pentagramm oder den Zauberstab. Ein variables Optimierungsspiel, das in elf Runden viel Tiefe bietet und sich als einstiegsfreundliches Kennerspiel positioniert.
Marker, Plättchen, Steine, Karten und Hexen: In der Schachtel von Witchstone ist eine ganze Menge Spielmaterial enthalten. Und zwölf eng beschriebene Seiten Anleitung warten zunächst auf euch, ehe die erste Runde beginnt. Entwarnung aber an alle Gelegenheitsspieler, die sich dadurch eingeschüchtert fühlen: Das Regelwerk ist, sobald man es einmal verinnerlicht hat, logisch aufgebaut und geht bereits ab der zweiten Partie leicht von der Hand.
Die Hexplättchen
Jeder Spieler erhält die elf Hexen in der eigenen Farbe, ein Tableau mit dem Zauberkessel und Kristallen darauf, Energiesteine sowie einen Sichtschirm. Dahinter werden die 15 eigenen Hex(agon)plättchen verdeckt gestapelt, fünf davon deckt man für die erste Runde auf. Sie zeigen je zwei Symbole, mit denen sich die einzelnen Aktionsarten während des Spiels aktivieren lassen.
Der Hexenkessel bei Witchstone
Witchstone spielt ihr reihum. Wer dran ist, nimmt sich eines der aufgedeckten Hexplättchen und legt es auf zwei freie Felder im eigenen Zauberkessel. Durch das Anlegen entstehen bestenfalls zusammenhängende Gruppen von gleichen Symbolen. In der ersten Runde ist das nur eingeschränkt möglich, aber achtet im Laufe des Spiels darauf, passende Cluster zu bilden. Dann dürft ihr die jeweilige Aktion gleich mehrmals ausführen. Liegen drei Pentagramme nach dem Einsetzen des Plättchens benachbart aneinander? Prima, nun darfst du die Pentagramm-Aktion dreimal nutzen. Anschließend ziehst du eines deiner verdeckten Plättchen – und die nächste Spielerin ist an der Reihe. Ihr spielt so lange, bis alle insgesamt elf Hexplättchen im Kessel liegen haben.
Die Energie-Aktion
Nun zu den einzelnen Aktionen: Legst du ein Hexplättchen mit dem Energiesymbol in den Kessel, führst du anschließend eine oder mehrere Energieaktionen durch. Für jede Aktion darfst du einen Energiestein auf ein freies Feld zwischen den vielen Orten auf dem Spielplan einsetzen. Sobald du eine Verbindung komplett abschließt, gibt es dafür Siegpunkte. Achtung: Jeder Verbindungsweg von Ort zu Ort kann nur von einer Spielerin begonnen bzw. fertig belegt werden.
Die Hexen-Aktion bei Witchstone
Legst du ein Hexplättchen mit dem Hexensymbol in den Kessel, führst du anschließend eine oder mehrere Hexenaktionen durch. Beispiel für eine zweifache Aktion: Du stellst eine Hexe aus dem Vorrat an deinem Startturm bereit (Aktion 1) und ziehst sie weiter zu einem verbundenen Ort (Aktion 2). Ein verbundener Ort ist immer dort, wo deine Energiesteine einen Weg zwischen zwei Orten vollständig belegt haben. Jede Hexe in einem Ort bringt dir zwei Siegpunkte ein.
Die Pentagramm-Aktion
Die Pentagramm-Aktionen sind eine Art Wettrennen im Kreis: Der Spieler, der zuerst an den Belohnungsfeldern vorbeikommt, erhält die dort ausliegenden Plättchen. Auf gelben Feldern sind das Siegpunkte-Chips, auf blauen Feldern Bonus-Aktionen. Und nochmal zur Erinnerung: Die Pentagramm-Aktion löst du aus, sobald du ein Hexplättchen mit diesem Symbol in deinen Zauberkessel legst.
Die Kristall-Aktion
Mit der Kristallaktion bewegst du die Kristalle, die seit dem Spielstart im eigenen Zauberkessel liegen. So schaffst du einerseits Platz, um deine Hexplättchen in einem späteren Spielzug besser platzieren zu können. Aber noch wichtiger: Die Kristalle können deinen Kessel an verschiedenen „Ausgängen“ verlassen. Dann darfst du sie in dein Regal mit den diversen Phiolen ablegen. Jede befüllte Phiole bringt dir zusätzliche Aktionen ein, die du sofort nutzen darfst.
Am Beispiel der Kristalle lässt sich der Mechanismus von Kettenreaktionen in Witchstone besonders gut studieren. Man setzt etwas ein, erhält einen Bonus, weitere Spielzüge und ggf. noch mehr Boni. Klug kombiniert und vorausschauend geplant, erzielt man auf diese Art Vorteile gegenüber den Kontrahenten. Und schließlich mehr Punkte.
Die Zauberstab-Aktion bei Witchstone
Auf dem Zauberstab findet jede Spielerin einen eigenen Marker in Form einer Eule, der entlang des Stabs verschoben wird – je Aktion ein Feld weiter. Auf dem Weg von ganz links nach ganz rechts kommst man an Feldern vorbei, die Bonus-Aktionen oder Siegpunkte einbringen. Und besonders begehrt ist es, an führender Position zu liegen. Dann gibt es auf allen Feldern eine höhere Belohnung.
Die Schriftrollen-Aktion
An einer Stelle auf dem Spielplan liegen sechs Schriftrollenkarten offen aus. Je nachdem, wie viele Schriftrollenaktionen du zur Verfügung hast, erhältst du Zugriff auf bestimmte Rollen. Drei Aktionen bedeuten: Du darfst dir eine der ersten drei ausliegenden Karten nehmen. Auf den Karten stehen Siegpunkt-Bedingungen, die bei Spielende erfüllt sein müssen oder weitere Bonus-Aktionen.
Nach elf Spielzügen kommt es zur großen Schlusswertung: Zu euren gesammelten Punkten rechnet ihr weitere Siegpunkte für eure Eulenplättchen und Magiechips hinzu. Und dann schaut ihr nach, wie viele Punkte die Schriftrollen einbringen. Die Hexe mit der höchsten Gesamtpunktzahl gewinnt.
Witchstone: Fazit und Wertung
Spielmaterial und Regeln, Ablauf und Atmosphäre: Bei Witchstone stimmt ganz viel. Das mittelschwere Kennerspiel bietet in gerade einmal elf Runden ordentlich Spieltiefe, da wir es durch den Einsatz der Hexplättchen im Kessel selbst in der Hand haben, an welcher Stellschraube wir als nächstes drehen wollen. Wir müssen dabei nicht nur unsere nächsten Schritte gut im Auge behalten, sondern auch die Nachbarhexen im Blick behalten.
Manche Aktionsbereiche sind klar als Wettrennen ausgelegt und belohnen den Schnellsten. Wer seine Ressourcen clever einsetzt, profitiert zudem von den Kettenreaktionen, die der eigene Spielzug auslöst. Das ist ein sehr belohnendes Spielprinzip, das uns manchmal aber vor ein Dilemma stellt. Optimieren ist eben etwas anderes als perfektionieren. Gerade im Spiel zu viert merke ich, dass ich nicht an allen Aktionsfronten die Nase vorn haben kann. Hier kommt es auf den bestmöglichen strategischen Mix an. Setze ich vorrangig auf die Schriftrollen, wird sich mein weiteres Spielverhalten stark entlang der Bedingungen auf den Karten orientieren. Oder ich versuche, auf meinem Weg ums Pentagramm stets die Nase vorn zu haben und staube die wertvollsten Punktechips ab.
Witchstone funktioniert zu zweit ebenso gut wie zu viert, wenn auch anders. Im Duell kommt man sich bei den Energieverbindungen weniger in die Quere und kann das Geschehen besser vorausplanen. Als Vierergruppe am Tisch braucht man etwas mehr Geduld und muss unter Umständen bereit sein, die eigene Strategie sich schnell verändernden Umständen anzupassen. Und nicht unterschätzen: Ein gewisser Glücksfaktor ist in Witchstone gegeben. Man weiß nie genau, welches Hexplättchen man als nächstes aus dem Nachziehstapel aufdeckt. Vielleicht nicht das, auf das man sehnlichst wartet…
Zauberei und Fantasy geht ja immer
Eine wirkliche Story erzählt Reiner Knizias Hexenspiel nicht. Das atmosphärische Setting ist hübsch und stimmig angelegt (Hexe, Zauberer und Fantasy-Elemente gehen ja immer), aber letztlich bleibt die Aufgabe abstrakt. Optimiere deine Züge und hole mehr Punkte als die anderen Spieler. Innerhalb des Spiels ist das sehr variabel angelegt, auf Dauer gesehen wiederholt sich das Spielprinzip natürlich.
Dennoch ist Witchstone weit mehr als ein Hype. Wir sind sicher, dass es bei den kommenden Preisverleihungen mindestens im Kreis der Nominierten zu finden sein wird. Wenige Spiele, die mehr als zehn Seiten Anleitung erfordern, spielen sich so flüssig und eingängig. Was besonders freut: Auch wenn die vorherige Partie bereits Wochen zurückliegt, waren wir schnell wieder drin und konnten sofort loslegen.