In „Freie Fahrt“ bereisen ein bis fünf Spieler:innen mit der Eisenbahn europäische Großstädte. Hat das Strategiespiel von Friedemann Friese das Zeug zum echten „Zug-um-Zug“-Konkurrenten? Wir haben ein Ticket gelöst und sind mitgefahren.
Freie Fahrt: So wird es gespielt
Aller Anfang ist schwer, denn vor der ersten Zugfahrt müssen zunächst Gleise gebaut werden. Dazu hat jede Spieler:in eine Handvoll Schienen-Token vor sich liegen, ein paar Münzen, eine Lok sowie rund zwei Dutzend Besitzmarker in der eigenen Farbe. Wer an der Reihe ist, darf bis zu zwei Gleise auf dem Spielfeld platzieren und die so begonnene Strecke zwischen zwei Orten mit einem Besitzmarker kennzeichnen.
Diese Strecke ist zunächst in Privatbesitz. Nur die Eigentümerin fährt mit der Lok kostenlos, sobald beide Städte komplett verbunden wurden. Möchte eine andere Person ihren Zug hier entlangführen, kostet das eine Münze an den Besitzer. Und nun – das ist die erste wegweisende Änderung zu anderen Zugspielen – wird die Bahnstrecke automatisch verstaatlicht; künftig reisen alle Loks gratis auf diesem Abschnitt.
Gleise zu verlegen, ist nur eine von drei möglichen Handlungen. Wenn euch irgendwann das Baumaterial ausgeht, dürft ihr als Aktion fünf neue Schienen aus der Auslage nehmen. Oder ihr reist wie erwähnt mit eurer eigenen Lok: auf einer fertig gebauten Strecke bis zu zwei Städte weit. Später im Spiel sind Distanzen von maximal drei Städten erlaubt.
Aber wohin eigentlich? An dieser Stelle müssen wir über Reiserouten sprechen. Zur jeder Zeit liegen 18 Kärtchen zufällig offen aus, auf denen ein Städtename notiert ist. Sie liegen in sechs Spalten á drei Reihen, so dass sich vertikal je zwei Strecken ergeben. Ein Beispiel: Untereinander liegen die Stadtkarten von Helsinki, London und Madrid. Die beiden Routen, die möglich sind, lauten: von Helsinki nach London oder von London nach Madrid.
Vor Spielbeginn hat jeder von euch so ein Pärchen gezogen (die dritte Karte geht immer aus dem Spiel), womit ihr den Startpunkt der Lok sowie das erste Ziel definiert. Das nächste Routenpaar darf nur nehmen, wer sein aktuelles Ziel erreicht hat und dessen Lok auf der Startstadt einer neuen ausliegenden Route steht. In der ersten Spielphase habt ihr immer nur ein Ziel gleichzeitig, später könnt ihr zwei Routen parallel betreuen.
Sobald alle Routenkärtchen vom Nachziehstapel verbraucht sind, wird allmählich das Spielende eingeläutet. Es zeigt sich, dass Vielfalt beim Reisen die meisten Punkte bringt: Fünf Siegpunkte erhaltet ihr für die erste erfüllte Karte jeder Stadt und nur noch zwei Siegpunkte für jede weitere erfüllte Karte derselben Stadt. Zudem ist jede Münze je drei Siegpunkte wert.
Freie Fahrt: Fazit und Wertung
Bei Eisenbahnspielen sagen wir nicht nein. Als Fans des Themas legen wir allerdings Wert auf innovative Ideen. Wenn ein Brettspiel in Sachen Spielwitz und Mechanik nichts Neues zu bieten hat, geht im direkten Vergleich zum Genre-Primus „Zug um Zug“ schnell unter.
Diese Sorge ist bei Friedemann Frieses „Freie Fahrt“ nahezu unbegründet. Thematisch verortet der Bremer Spieleautor sein Zugspiel im 19. Jahrhundert und fängt durch den Aufbau- und Reisecharakter das goldene Zeitalter der Eisenbahn elegant ein.
Die ersten Schritte im Spiel gestalten sich durchaus mühevoll. Ein leeres Spielfeld, kaum verlegte Gleise – es dauert, ehe die Partie ins Rollen kommt. Mit zunehmender Spielerzahl passiert freilich mehr, bis man wieder an der Reihe ist. Und bald tun sich taktische Fragen auf: Gebe ich meinem Tischnachbarn eine Münze (immerhin drei Siegpunkte), um seine Strecke zu verstaatlichen? Ich komme zwar schneller zu meinem Zielort, ermögliche aber auch den anderen eine kostenlose Fahrt, falls sie in dieselbe Richtung reisen möchten.
Kurze Strecken in Mitteleuropa stehen hoch im Kurs
Die Ziele der Mitspielenden mögen sich unterscheiden, die Aufgabe ist jedoch gleich: so schnell wie möglich so viele Routen wie möglich erfüllen. Kurze Strecken in Mitteleuropa stehen hoch im Kurs, aber nicht immer liegen passende Anschlussrouten griffbereit. Schlimmer noch: Wer nicht schnell genug das Missionsziel erreicht, läuft Gefahr, die anvisierten Routenkärtchen zu verpassen. Pech gehabt, wenn jemand schneller war und zugegriffen hat.
An dieser Stelle offenbart „Freie Fahrt“ (2F-Spiele) ein nicht unerhebliches Glücksmoment. Der Zufall entscheidet mit darüber, wer die ideale Auslage an Routen vorfindet und wer nicht. Dennoch bleibt genug strategischer Spielraum, den Fortgang des Spiel zu beeinflussen. In Phase zwei, wenn jede:r zwei Routen gleichzeitig bearbeiten kann, muss man umso mehr auf passende Anschlüsse und Synergien achten. Es kann teuer werden (und das Geld in Freie Fahrt ist knapp!), wenn ständig eine Münze an die Nachbarn gezahlt wird, um dessen Strecke zu nutzen. Mal abgesehen davon, dass man der Konkurrenz jedes Mal drei Siegpunkte gibt und selbst drei verliert.
Wenige Regeln, klar definiertes Set an Aktionen
Übrigens: Wer einen Auftrag annimmt, bindet sich bis zu dessen Erfüllung. Es ist nicht erlaubt, eine Reiseroute abzuwerfen oder zu tauschen. Somit wirkt jede Entscheidung schwer und ihr müsst das Große und Ganze auf dem Spielfeld gut im Auge behalten. Und genau an dieser Stelle offenbart „Freie Fahrt“ ein paar Schwächen. Die Städtenamen auf dem Brett sind in zarten Versalien und noch dazu in ihrer Originalschreibweise gedruckt. Ihr reist also nach Lwiw (Lemberg) oder Warszawa (Warschau) und braucht gute Geografiekenntnisse, um ausliegende Routen zügig zu finden. Diese Hürde hätte man durch den Einsatz von farbigen Markern mindern können. Wir behelfen uns mit Fremdmaterial und legen z.B. einen gelben Marker über eine Spalte mit Routenkarten und drei weitere Marker dieser Farbe zu den Städten aufs Spielfeld.
Gerade jüngere Mitspieler (Freie Fahrt wird ab zehn Jahren empfohlen) wissen das Plus an Übersichtlichkeit zu schätzen. Sie können bei diesem gehobenen Familienspiel gleichwertig mitspielen. Dass es unterm Strich wenige Regeln und ein klar definiertes Set an Aktionsmöglichkeiten gibt, erinnert auf den ersten Blick an „Zug um Zug“. Friedemann Frieses Eisenbahnspiel ist aber komplexer und erfordert mehr Planung, will man eine Chance auf den Sieg haben. „Freie Fahrt“ wirkt wie der große, schlaue Bruder, mit dem man gern ab und zu spielt. Aber nicht jeden Tag.
Freie Fahrt – auf einen Blick
„Freie Fahrt“ ist ein abwechslungsreiches und interaktives Eisenbahnspiel. Komplexer als „Zug um Zug“, kommt aber nicht ganz an die unbeschwerte Spielfreude des Klassikers heran.
Autor: Friedemann Friese, Illustration: Harald Lieske | 2F-Spiele | 2021 | 1 bis 5 Personen | ab 10 Jahren | bis 60 Minuten
Pro
- Wer Zug um Zug oft gespielt hat, findet hier ein paar frische Ideen und Abwechslung.
- wenige Regeln, dennoch viel Spieltiefe
- wird in der zweiten und dritten Spielphase durch zwei Regelkniffe dynamischer
- mit Solomodus
Contra
- kann langatmig werden, wenn die Routenauswahl nur weit entfernte Orte anbietet
- neigt bei vier oder fünf Spielenden dazu, unübersichtlich zu werden
Hinweis: Wertungen vergeben wir im Bereich 0 bis 4 Sternen. Spiele mit 0-1,5 Sternen sind sind schlecht, mit 2 bis 2,5 Sternen durchschnittlich. Ab 3 Sternen beginnen die empfehlenswerten Spiele. Nur außergewöhnliche Titel erhalten 4 Sterne („Four-Star Game“).