„Brettspiele sind wunderschön“, sagt Jörn Morisse, der das Buch „Zeit für Brettspiele“ (Ventil Verlag) herausgegeben hat. Ein ausführliches Interview über die Macher der Szene und Spiele als Hobby und Kulturgut.
Brettspielelust: In 16 Kapiteln stellst du Autoren, Illustratoren, Redakteure, Produzenten und Veranstalter aus der Spielebranche vor. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Jörn Morisse: Wir wollten zeigen, dass ein Brettspiel immer im Zusammenspiel von verschiedenen Parteien entsteht, vom Autor über den Illustrator zum Verlag, Produktion, Vertrieb, Einzelhandel, und eben auch Spieler, sonst würde es nicht funktionieren, der Markt nicht florieren. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Wir versuchen alle Facetten abzubilden. Jeder hat seine Funktion und seine persönliche Sichtweise auf das Thema, aber gleichzeitig geben die Personen im Buch noch über ganz andere Sachen Auskunft, die uns auch wichtig waren: zum Beispiel über das Design der Spiele, wie Spielemechanismen in Unternehmen auftauchen oder was im Kopf beim Spielen passiert.
Warum sollten sich Menschen Zeit für Brettspiele nehmen?
Jörn: Brettspiele sind wunderschön. Man kann experimentieren, auf Entdeckungsreise gehen, etwas wagen, Spannungen aushalten – das ist die Essenz des Spielgeistes, um es mit Johan Huizinga zu sagen. So lernen wir spielerisch mit Problemen umzugehen und Lösungen zu finden. Ein Spiel kann sowohl etwas von dem widerspiegeln, was wir sind, von dem, was wir glauben, was wir sind, und wer wir sein wollen. „Sich auf Neues einzulassen, auf neue Spiele, auch auf neue Mechanismen ist eine nützliche Erfahrung. Zusammen mit anderen kann man Heureka-Momente und plötzliche Erkenntnisse teilen und gleichzeitig sich vollkommen fokussieren“, sagt Britta Stöckmann in „Zeit für Brettspiele“.
Für die Redakteurin von Huch! ist Spielen also eine Beschäftigung, mit der man nicht nur Zeit totschlägt…
Jörn: …sondern die auch was zurückgibt. „Genau wie Lesen. Oder Theaterspielen. Man bewegt sich in anderen Welten, lebt in einem anderen Land. Man taucht in seine Rolle ein.“ Brettspiele bieten soziale Erfahrungen und schaffen sogar gemeinsame Erinnerungen mit anderen Menschen. Wenn man sich zusammenfindet, zu Hause, im Spielcafé, auf Brettspielveranstaltungen, dann wird Verbundenheit erzeugt. „Man sitzt zusammen am Tisch, guckt sich in die Augen, geht miteinander um, kann Freude und Wertschätzung erfahren, selbst wenn man verliert“, sagt Michael Schmitt von der Edition und dem Brettspielcafé Spielwiese. Er ist der Meinung, das soziale Erleben habe auch etwas Nachhaltiges.
„Zeit für Brettspiele“
Das Buch ist im Ventil Verlag erschienen und zeigt den gegenwärtigen Boom der Brettspiele anhand ausgewählter Begegnungen mit Spieleerfindern, Illustratoren, Archiven, Produktionsstätten und Verlagen. In 16 Porträts machen der Autor Jörn Morisse und sein Fotograf Felix Gebhard und in Wort und Bild auf Trends aufmerksam. Sie wecken Erinnerungen, erklären Zusammenhänge und stellen Persönlichkeiten und Geschichten hinter modernen Brettspielen vor. Das Buch ist für Kenner zum Schmökern geeignet und lädt gleichzeitig Nichtspieler ein, mehr über das Thema zu erfahren.
Warum ist die Anziehungskraft des Analogen heute so groß?
Jörn: Das hat der Vertriebsleiter Dirk Meineck von ASS Altenburger sehr treffend beantwortet: „Wir sind doch alle eigentlich überfordert mit 24-Stunden-Verfügbarkeiten übers Mobiltelefon, WhatsApp, E-Mail, Instagram, Facebook, was es da alles gibt. Dass Menschen in dieser hektomanischen Zeit sich auch vom Digitalen etwas zurückziehen möchten, ist ja kein Revival, ist kein Trend, es ist eine logische Entwicklung. Und deswegen werden eben mehr analoge Spiele gespielt.“ Aber Spiele sind nicht vor allem wertvoll, weil sie jemandem eine Fähigkeit beibringen oder die Welt zu einem besseren Ort machen können. Wie andere Formen des kulturellen Ausdrucks sind auch Spiele und Spiel wichtig, weil sie, wie gesagt, schön sind.
Seit einiger Zeit gilt es wieder als cool, Brettspiele zu spielen. Was glaubst du, warum ist gerade Deutschland so einen ausgeprägte Spielenation?
Jörn: Eigentlich ist die Entwicklung in Deutschland nicht anders als in anderen Ländern. Spiele wie Catan, Carcassonne oder Zug um Zug haben sich Millionen Mal verkauft und ein Massenpublikum erreicht. Und irgendwann wollten diese Menschen neue Narrative und andere moderne Spiele entdecken.
Was hat sich in der Spieleszene in den vergangenen Jahrzehnten am stärksten verändert?
Jörn: Noch nie in der Menschheitsgeschichte gab es so vielfältige Möglichkeiten zum Spielen, sei es auf dem Smartphone, auf dem Computer oder der Konsole, in der Freizeit, sogar in der Arbeitswelt. Und jede Art von Spiel ist eine Art Pforte zu anderen Spielen. Eric Zimmerman, Game-Designer und Kunstprofessor in New York, hat über die Idee des „ludischen Jahrhunderts“ geschrieben, darüber, dass Spiele zu einer wichtigen kulturellen Kraft im 21. Jahrhundert geworden sind: Wir leben in einer Art ludischen Zeitalter. Auch die Qualität der Brettspiele hat in den letzten zwei Jahrzehnten wirklich stark zugenommen. Und mit Social Media kann man sich ohne Probleme darüber austauschen, mit Menschen in Verbindung setzen, die dasselbe Interesse teilen.
Sind Brettspiele nur Hobby oder schon Kulturgut?
Jörn: Für mich besteht wenig Zweifel, dass dieses Hobby eine wichtige kulturelle Praxis ist und einer genauen kritischen Untersuchung, Analyse und Kommentierung äußerst würdig ist. Der zentrale Gedanke, der im Buch an mehreren Stellen wiederkehrt, ist, dass Brettspiele kulturelle Objekte, auch Kunstwerke sind, mit denen wir ähnlich wie z.B. mit Büchern und Schallplatten Zeit verbringen, von denen wir uns unterhalten lassen, aber dass sie im wahrsten Sinne des Wortes zugänglich sind, also begehbare, manipulierbare, veränderbare Systeme sind. Und das macht, glaube ich, auch ihre Faszination aus.
Was sind die bestimmenden Trends am Ende der 2010er Jahre?
Jörn: Das lässt sich für mich angesichts der Fülle der Neuerscheinungen kaum diagnostizieren. Ich möchte aber den Spieleautor Stefan Feld zitieren, der in „Zeit für Brettspiele“ darauf hingewiesen hat, dass zumindest die Eurogames mittlerweile nicht mehr so kompromisslos designt werden wie früher: „Es gibt in zunehmendem Maße Belohnungssysteme. Und es passiert kaum noch, dass einer in Runde 1 rausgeschossen wird und dann nicht mehr mitmachen darf.“
Die Fragen stellte Oliver Baentsch.