Die erste SPIEL.digital ist vorüber. Was hat gut geklappt, wo gibt es Verbesserungsbedarf? Ich habe dazu ein paar Gedanken aufgeschrieben.
Was der Merz-Verlag gemeinsam mit Agenturen und Partnern in nur fünf Monaten auf die Beine gestellt hat, verdient größten Respekt. Ich arbeite selbst im Digitalbereich und weiß, wie knapp ein halbes Jahr ist, um eine komplett neue Web-Oberfläche programmieren zu lassen. Ausschreibung, Konzept, Umsetzung, Testen: Das frisst viel Zeit und sicherlich noch mehr Nerven aller Beteiligten. Dass mit dem Start am vergangenen Donnerstag eine Punktlandung geschafft wurde, dürfte Brettspielefans auf der ganzen Welt begeistert haben. Der kurze technische Schluckauf nach dem Countdown am ersten Tag durch die Überlastung der Server – geschenkt. Danach lief die Infrastruktur flüssig und zuverlässig. Viele neue Spiele konnten zudem auf Tabletopia ausprobiert werden; über meine ersten Gehversuche habe ich hier gebloggt.
Überall gab es etwas zu entdecken
Das mediale Angebot auf der SPIEL.digital war riesig, zweitweise wusste man gar nicht, auf was man zuerst klicken soll. Der Einstieg über die Themenwelten oder Neuheitenliste, die vielen Events und Aktionen, dazu ein prall gefülltes Mediahub – überall gab es etwas zu entdecken. So viel, dass die vier Tage bei weitem nicht ausreichten, um alles zu sehen. Eigentlich wie bei der echten SPIEL in den Essener Messehallen, hier aber mit dem Vorteil, dass die Website und die meisten Inhalte noch mindestens bis zum Jahresende online bleiben werden. Chapeau für diese Entscheidung!
Blogger als Bindeglieder eingebunden
Allein die Möglichkeit, endlich eine filterbare Neuheitenliste auf offiziellen Messe-Webseiten zu nutzen, ist fantastisch (und zugegebenermaßen ein überfälliges Angebot). Die Merklistenfunktion ist ein sehr hilfreiches Tool für die eigene Recherche und wird auch für die nächsten Wochen wichtig bleiben.
Das Team um Dominique und Max Metzler hat frühzeitig die Blogger- und YouTuber-Szene in die Programmgestaltung eingebunden, zum Beispiel für die Produktion des offiziellen Livestreams der Messe. Als Bindeglieder zwischen Online-Zuschauern und Verlagen gaben sie der Messe ein persönliches Gesicht, warben ihrerseits kräftig für die SPIEL.digital und steuerten viele eigene Inhalte bei.
Sehr gut angekommen ist das Beeple-Radio, wobei ich die Interviews und Hintergrundstücke stets spannender finde als reine Spielvorstellungen im Audio-Format. Bei letzteren fehlt mir einfach der visuelle Eindruck. Toller Service, dass viele Beiträge im Nachhinein als Einzelbeiträge zur Verfügung stehen; Updates dazu gibt’s im Twitter-Stream oder im Podcast-Kanal von Beeple.
Was nicht so gut geklappt hat
Nicht alles hat gut geklappt, manche Dinge sind grundsätzlich, manche im Detail noch nicht so, wie sie sein sollten oder könnten. An der Stelle steige ich etwas detaillierter ein, dabei geht es mir nicht darum, das Salz in der Suppe zu suchen. Alles ist sachlich und konstruktiv gemeint, inkl. Verbesserungsvorschlag.
Auf der obersten Ebene, der Homepage der SPIEL.digital, wurde die Riesenchance verpasst, Spielefans beim ersten Besuch der Webseite emotionaler zu empfangen. Zunächst fehlte am ersten Tag die Möglichkeit, sich schnell und unkompliziert zu registrieren. Man musste auf die Themenwelten klicken, erst auf der dann folgenden Seite tauchten oben links die drei Menüstriche (Burger-Menü) auf, hinter denen ganz unten „Anmelden“ zu finden war. Eine intuitive Nutzerführung geht anders. Die Homepage blieb somit eine schlichte Verteilerseite, die neben einem Link zu den Themenseiten den Businessbereich, den Bereich für Medienschaffende, viel Platz für eine Spendenaktion und die Partnerlogos einnahm. Ich hätte mir hier eine redaktionell gepflegte Seite mit wechselnden, nachrichtlichen Inhalten gewünscht, die aktuelle Aktionen, Livestreams usw. ankündigt.
Mediahub zu unübersichtlich
Apropos Livestreams: Wann immer ich einen Blick in den offiziellen Livestream der SPIEL.digital werfen wollte, konnte ich mir sicher sein, diesen auf YouTube schneller zu finden als im Mediahub. Die strukturelle Aufbereitung dieses Bereichs ist leider nicht gelungen und blieb unübersichtlich. Vielleicht wäre hier eine Lösung wie in Online-TV-Programmen besser geeignet, wenn das mit Uhrzeiten in Zeilen und entsprechenden Blöcken daneben gelöst worden wäre.
Was heißt eigentlich Hotness genau?
Schade, dass man zwar Herzchen bei allen Spieleneuheiten vergeben durfte, aber ein Filtern der Spiele mit den meisten Herzen nicht möglich war. Dadurch hätte man eine viel genauere Liste über angesagte Spiele erhalten, die wiederum sortierbar gewesen wäre: „Zeig mir die beliebtesten Kennerspiele ab 12 Jahren.“ Stattdessen bot uns die Website einen fragwürdigen Hotnessfaktor an. Fragwürdig, weil die Veranstalter das Zustandekommen dieser „On Fire“-Anzeige auf Facebook so erklärt haben (bzw. dort erklären mussten, weil es nirgendwo auf den Seiten stand): Ein Bereich sei unter anderem dann „hot“, wenn „sich dort viele Leute aufhalten, dieser Verlag gerade viel verkauft oder ein interessantes Programm hat“. Die ersten beiden Punkte kann man messen, beim dritten kommt die spannende Frage auf: Wer entscheidet denn, ob ein Programm gerade interessant ist? Das bleibt leider intransparent und ich weiß nicht, ob die Verlage das über Sponsoring oder andere Kooperationen beeinflussen konnten.
„Featured“ oder „gesponserte“ Inhalte sind mir häufig über den Weg gelaufen. Was das eigentlich genau bedeutet, wurde nirgendwo erklärt. Bezahlte Werbung? Sind dann auch Social-Media-Beiträge über die offiziellen Veranstalter-Accounts als Werbung für Verlagsangebote gepostet worden? Als solche gekennzeichnet waren sie nicht; eine entsprechende Anfrage über Twitter hat mir der Merz-Verlag bislang nicht beantwortet. Der Drahtseilakt zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten wird schnell zur Grauzone, wenn keine oder keine eindeutige Kennzeichnung an den Inhalten erfolgt. Darunter leidet letztlich immer die Glaubwürdigkeit.
Die Krux mit dem Kauf der neuen Spiele
Dass der digitale Messespaß an einem entscheidenen Punkt ebenfalls leiden würde, war von vornherein klar. Es würde nicht möglich sein, dieselbe Vorfreude aufgrund von prall gefüllten Tragetaschen mit neuen Spielen abends nach Hause zu tragen. Online-Käufe würden nötig sein, einiges an Versandkosten – und ggf. zwei bis drei Tage Wartezeit, bis das ersehnte neue Brettspiel im Briefkasten… Moment, das wird wohl nix. Denn obwohl auf jeder Neuheitenseite ein „Jetzt kaufen“-Button gezeigt wurde, war der Klick darauf oftmals ernüchternd.
Von meinen 15 Spielen auf der Merkliste waren acht noch nicht lieferbar. Die Liefertermine auf den dahinter geschalteten Shops variierten zwischen „Im Zulauf“ und „Erscheinungstermin Ende 2020“. Welche Gründe dazu geführt haben (Corona-Probleme, überlastete Druckereien?), vermag ich nicht zu beurteilen. In Einzelfällen kommt das in jedem Jahr vor, auch auf Präsenzmessen. Dennoch hätte ich mir mehr Transparenz seitens der Spieleverlage gewünscht (andere YouTuber wie Brettballet übrigens auch), die nur zum Teil auf ihren Produktseiten die Möglichkeit nutzten, über verschobene Veröffentlichungstermine zu informieren. Ein einfaches „Spiel jetzt kaufen“ führt nun mal zu einer enttäuschten Nutzererfahrung.
YouTuber: Mir sind die kurzen Beiträge lieber
Viele YouTuber-Kanäle sind gut und hilfreich darin, in kurzen, prägnanten Videoclips Spiele zu besprechen, Urteile zu fällen und somit zahlreichen Menschen Kaufentscheidungen für neue Spiele zu geben. Diese Clips sehe ich mir auch abseits der SPIEL gern an, deshalb habe ich die Kanäle abonniert. Im Rahmen der SPIEL.digital berichteten manche nun quasi rund um die Uhr in eigenen Sendungen und auch der offizielle Livestream der SPIEL wurde von bekannten Gesichtern aus der YouTube-Szene bestritten. Dementsprechend groß war die Vorfreude auf das Programm. Doch viele der live gestreamten Inhalte waren mir persönlich einfach zu lang oder langatmig, wenn auch jederzeit authentisch. Aber das reichte mir nicht. Vielleicht wäre es besser, lediglich einen einzelnen YouTuber-Livechannel zu senden, auf dem sich alle teilnehmenden YouTuber die verfügbare Sendezeit eines Messetages in bestimmten Längen untereinander aufteilen. Das könnte meinem Eindruck entgegenwirken, dass das Programm insgesamt zu sehr zerfasert.
Ausblick auf die nächste SPIEL
Das Konzept des Merz-Verlags zeigt ganz klar in die richtige Richtung und dürfte prägend sein für die Branche. Der Mehrwert einer digitalen Plattform kann auch bei Folgeveranstaltungen, die wieder in Präsenz stattfinden, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn ich künftig in den Essener Hallen stehe und die Online-Plattform auf dem Smartphone in der Hosentasche auch noch dabei habe, sind das großartige Synergieeffekte. Zumal die nächsten Ausbaustufen dieser digitalen Infrastruktur auf der Hand liegen: als native App, mit Hallenplänen und Orientierung/Wegbeschreibung zu bestimmten Ständen, Spielen oder Aktionen. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten zur Informationsvermittlung über NFC-Tags an bestimmten Hotspots oder Ständen.
Schöne, neue Spielemessen-Zukunft.
Wir sehen uns!
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